Lange Zeit beinah vergessen und von Baumwolle regelrecht verdrängt, erlebt Leinen derzeit eine wahre Wiederentdeckung. Und das zurecht: Denn ihre besonderen Eigenschaften machen sie zur perfekten Faser für viele Einsatzbereiche.
Geschichte der Leinenstoffe
Leinen ist eine der ältesten Textilien und blickt auf eine lange Geschichte zurück. Samenfunde lassen darauf schließen, dass bereits vor 10.000 Jahren in Mesopotamien – dem Gebiet des heutigen Irak und der Türkei - der Leinen-Rohstoff Flachs kultiviert wurde. Es gibt jedoch Hinweise auf eine deutlich frühere Nutzung der Pflanze. So wurden in einer Höhle in Georgien bearbeitete und gefärbte Fasern gefunden, die auf ein Alter von 34.000 Jahren datiert werden und einer Wildform der Flachspflanze entstammen.
Heute wird Leinen meist mit hochwertiger Tisch- oder Bettwäsche assoziiert. Historisch gesehen war sie jedoch neben Wolle lange Zeit auch die gängigste Faser für Alltagskleidung. Schrittweise verdrängt wurde sie erst im späten 18. Jahrhundert durch die Erfindung der sogenannten Entkörnungsmaschine, welche die Baumwollproduktion kosteneffizienter machte. Erst seit wenigen Jahrzehnten gewinnt Leinen als ökologische Naturfaser wieder vermehrt an Bedeutung.
Was ist eigentlich Leinen?
Leinen wird aus den Stängeln der Flachspflanze gewonnen und besteht zum größten Teil aus Zellulose. Im Gegensatz zu Samenfasern wie Baumwolle, die aus unverbundenen Einzelfasern bestehen, bilden Leinenfasern Bündel. Zusammengehalten werden sie durch eine Art Pflanzenleim, die sogenannten Pektine. In einem aufwändigen Herstellungsprozess müssen die Pektine zunächst zersetzt werden, um die Fasern voneinander trennen zu können.
Der Anbau und die Verarbeitung von Flachs ist weitaus ressourcenschonender als die Kultivierung und Nutzung der weit verbreitenden Baumwolle. Sie kommt mit weniger Wasser aus und benötigt für die Weiterverarbeitung zum Leinengewebe keinerlei Chemikalien, wodurch das Gewebe vollständig biologisch abbaubar ist. Die Flachspflanze wird zur Gänze verwertet. Neben den hochwertigen Faserbündeln für die Leinenherstellung werden die weiteren Bestandteile der Pflanze beispielsweise für die Herstellung von Bindfäden, Seilen oder Leinsamenöl verwendet.
Die Fasern der Flachspflanze trocknen schneller als Baumwolle oder Wolle und sind im nassen Zustand widerstandsfähiger. Daher wurde Leinengarn lange Zeit auch für Taue und Schiffssegel verwendet, bevor es von modernen synthetischen Materialien abgelöst wurde.
Anbau der Flachspflanze und Herstellung des Leinengarns
Die Produktion vom Anbau und der Ernte der Flachsfaser bis zum Weben der Leinenstoffe ist ein langwieriger Prozess. Im Gegensatz zu Wolle, deren Rohmaterial einfach gewaschen, gekämmt und gesponnen wird, müssen Flachsfasern erst aufwändig von ihren holzigen Stielen getrennt und für das Spinnen des Garns vorbereitet werden.
Um die Länge der Fasern zu erhalten, werden die Pflanzen bei der Ernte nicht geschnitten, sondern mitsamt ihren Wurzeln aus der Erde „gerauft“. Flachs ist eine einjährige Pflanze und muss jedes Jahr neu gesät werden. Der erste Schritt nach dem Trocknen der Ernte stellt daher das „Riffeln“ dar, bei der die Pflanzenbündel durch grobe Metallkämme gezogen werden, um die Samenkapseln von den Stängeln zu trennen und das Stroh zu entwirren. Die Samen selbst werden in der nächsten Saison wieder neu gepflanzt.
Die Stängel werden anschließend in Wasser gelegt, um die holzigen Bestandteile aufzuweichen. Dieser Prozess nennt sich Rösten und kann unter anderem in Bächen oder wassergefüllten Becken durchgeführt werden. Die älteste Form stellt jedoch das Taurösten dar, bei der die Flachsbündel über einen Zeitraum von sechs bis acht Wochen auf einem Feld ausgelegt werden. Tau, Regen und Sonne bewirken dabei ein Zersetzen der Pektine. Dieser „Pflanzenleim“ verbindet die Flachsfasern mit den harten Holzbestandteilen der Pflanze. Die Faserbündel lassen sich sodann schonend herauslösen.
Im Anschluss wird der Strohflachs entweder in Warmluftöfen auf Regale geschichtet, oder in Bündeln – sogenannten Kapellen – auf dem Feld aufgerichtet und von der Sonne getrocknet. In der Neuzeit wurde der Flachs auch in Backöfen gedörrt, wodurch sich die holzigen Bestandteile noch leichter von den Fasern trennen ließen. Berichten zufolge führte dieses Verfahren jedoch zu zahlreichen Stadtbränden.
Nach dem Trocknen erfolgen das „Brechen“ und „Schwingen“ des Flachses. Dabei werden die Verbindungen der Fasern mit den übrigen Bestandteilen der Stängel gelockert. Der Strohflachs wird dabei in hölzerne Knickvorrichtungen gelegt oder durch Walzen transportiert und gebrochen. Anschließend werden kleine Bündel erneut durch Riffelkämme gezogen. Dieser Arbeitsschritt dient dem Abstreifen der geknickten Holzteilchen und kurzer, verwirrter Fasern. Die übrigen, langen Faserbündel werden nun in die Hechelmaschine gespannt und durch immer feinere Nadelfelder gezogen. Die Fasern werden nach Feinheit und Qualität sortiert.
Der ausgehechelte Flachs wird nun zunächst zu flachen Bändern verarbeitet, indem er in ein System von Streckmaschinen eingelegt wird. Die Bänder werden dabei schrittweise immer feiner und gleichmäßiger, bis sie von der Vorspinnmaschine zu einem groben Vorgarn versponnen werden. Die Feinspinnmaschine bringt das nasse Leinengarn anschließend auf die richtige Fadenstärke. Die gesponnenen Garne werden getrocknet und auf Spulen gewickelt. Nun sind sie bereit für den Versand in die Weberei, wo sie auf den Webstühlen zu hochwertigem Leinen verarbeitet werden.
Eigenschaften einer besonderen Naturfaser
Die glatten Hohlfasern der Flachspflanze schließen nur wenig Luft ein und lassen sie leicht durch das Gewebe strömen. Sie können viel Luftfeuchtigkeit aufnehmen und an der Oberfläche halten. Diese Besonderheit verleiht dem Gewebe seine bakteriziden, schmutzabweisenden und kühlenden Eigenschaften. Seine Atmungsaktivität macht Leinen daher neben Tisch- und Bettwäsche auch zu einem beliebten Gewebe für die Herstellung von Sommerbekleidung. Die hypoallergenen Eigenschaften von Leinen schaffen ein hervorragendes Mikroklima und sind auch für Menschen mit empfindlicher Haut und Atemwegsallergien gut geeignet.
Typisch für Leinen ist auch seine geringe Elastizität, was für den charakteristischen Knitterlook verantwortlich ist. Dieser verleiht dem Stoff sein einzigartiges Aussehen. Leinen gilt als die stärkste aller Naturfasern. Sie ist besonders reißfest und wenig anfällig für Verschleiß, was sie sehr strapazierfähig und langlebig macht. Mit der richtigen Pflege wird man sich also lange Zeit an seinen liebsten Leinenstücken erfreuen können.